Kalligraphie als Vermittler von Philosophie
zur Ausstellung „Textquadrate“ in der Pfalzgalerie Kaiserslautern, 1989
….es geht um mehr als um schönes, ästhetisches Schreiben. Es geht um die Verdeutlichung, um die sinnvolle Erfassung eines einzigen Satzes mit dem sie Wände füllt: „Media vita in morte sumus“ – Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen. Dieser Satz wurde schon im Mittelalter gebildet, gelangte vom Volkslied ins Kirchenlied, das lange Zeit wegen der Überbetonung der Todessehnsucht verboten war. Wie tritt man dem Tod nahe; Diese Frage ist auch die Frage Blochs und er greift das mittelalterliche Thema auf, um es immer wieder zu variieren. So widersprüchlich wie dieser Satz klingt auch das Werk, in dem er von Frau Izi entdeckt wurde: Atheismus im Christentum.
Das Antithetische der Satzaussage reizt besonders zur gegensätzlichen Darstellung. Schwarz und Weiß (selten bunte Farbpartikel, verhaltene Gold- und Grautöne) sind deshalb die Grundlage für die Texte im Quadrat; Positiv/Negativ und Mischformen sehen wir auf dem ersten Blick. Doch dann kristallisieren sich beim genaueren Hinsehen einzelne Buchstaben, und dann Worte heraus. Einmal leuchtet „vita“ hervor, dann verschwindet wieder alles; ein anderes Mal bildet der „Tod“ ein dunkles Zentrum in heller Umgebung. Ballungen, Schwerpunkte unterstreichen das jeweils Gemeinte: „sumus vita“ oder „morte sumus“?
Die Vielschichtigkeit des Blochschen Satzes spiegelt sich wider in der Vielschichtigkeit der quadratischen Buchstabenbilder, die durch mehrere Bildebenen Räumlichkeit, also ein Hintereinander und Nebeneinander, ein Eins-nach-dem-anderen suggerieren. Illusion – beim Betrachten, aber auch beim Meditieren. Der Wunschtraum, die Utopie sind zentrale Begriffe des Blochschen Gedankengebäudes. Aber auch die Kategorie des „Noch-nicht“. Weshalb auch die scheinbar reinen Buchstabenpuzzles, in denen noch kein Satz erkennbar ist, ihre Berechtigung haben. Oder stehen sie schon für die Auflösung? Variation um Variation bis zur Auflösung. Das „Eigenleben der Buchstaben“ neben der Existenz von Satzfragmenten, Sprache, die sich erst bildet, das war auch das Thema ihres letzten Mappenwerkes. Aber hier fiel einem das Erkennen noch viel schwerer, erschien doch alles sehr abstrakt, da Worte nicht zu sehen waren. Schwung, viel Energie, kennzeichnen die Sprachbilder, Pinselsprache, die mehr emotional erfassbar ist.
Die Textquadrate dagegen zeichnen sich durch strenge Formen aus, untergliedern sich zum Teil wieder und wieder in kleinere Quadrate; Text im und als Quadrat, Quadrat als Text….Man könnte von der Quadratur des Textes sprechen. Gehalt und Form gehören hier eng zusammen, und deshalb gehen diese Kalligraphien weit über bloße Ornamentik hinaus.
Das Quadrat weist naturgemäß immer auf die Mitte, ähnlich wie der Kreis, aber es lässt einem auch die Ecken zum Dran-reiben. Und das ist, was mich so faszinierte: die Möglichkeit mit einem Philosophen konfrontiert zu werden auf dem Gang durch eine Kunstgalerie…..
Rafaela Stein in „Myosotis“, Zeitschrift für Buchwesen, 1/1989